W. Christian Schmitt

Umbruchshilfen

Aus der von Wolfgang Fienhold herausgegebenen Anthologie “IG Papier & Schreibmaschine. Autoren zur Lage” (1973, Raith Verlag, Starnberg)

Wolfgang Fischer ist einer jener jungen Talente, die sich entschieden haben. Wolfgang Fischer ist 23, fährt einen flotten Opel GT, trägt sein Haar ähnlich salopp wie seine Hosen, hat sich auf Briefköpfen für die Berufsbezeichnung “Schriftsteller” entschieden. Wolfgang Fischer hat Phasen der Unruhe, der Schaffenskraft, da bleibt kein Blatt unbeschrieben, da ist er hoffnungsfroh, da tippt er Redaktionen an, da spielt er dem Postboten die Kuverts nur so in die Hand.

Auch Hans Darmstadt lässt sich noch gern zu den Jungen zählen. Er ist 28 bereits, bei der morgendlichen Rasur vor dem Spiegel kommt er darüber manchmal ins Grübeln, doch er versucht sich jung zu halten. Dies Argument hat er parat, sollte ihn einmal jemand fragen, warum er sich täglich zu Fuß zur Arbeitsstätte mühe. Hans Darmstadt hat einen Journalistenausweis, berichtigt aber immer sogleich – wenn ihn ein Freund, Bekannter, Unbekannter darauf anspricht –: “Ich bin nur Redakteur”. Hans Darmstadt betritt werktags gegen 10 das Verlagsgebäude, rutscht mit dem Fahrstuhl ein paar Stockwerke hoch, betritt die Redaktionsräume, schließt seine Schreibtischschubladen auf. Der Postbote war wieder fleißig. Hans Darmstadt schaut Verlagsnotizen, Ankündigungen, Manuskripte, Zeitschriften, Fotos, Meldungen durch. Er benutzt Schere, Papierkorb, Ablagekasten und die kleinen vorgedruckten Antwortschreiben: “... wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen...”

Es ist Samstagnachmittag. Wolfgang Fischer sitzt an seinem Schreibtisch – und lächelt. Er gießt sich noch etwas Rotwein, französischen, nach, legt sich Gedanken und Finger zurecht, lächelt. Er ratscht einen Bogen – halt! - mit Durchschlag – in die Maschine, stopft seine Pfeife würzig, überlegt: ... Peter Himberg müsste ich antworten... die Portokosten für einen Brief liegen jetzt bei 40... warum druckt die Frankfurter Rundschau nichts mehr von mir?... sollte ich es mal bei einer anderen Zeitung versuchen... Hans Darmstadt?... wie war das doch gleich? sitzt der nicht irgendwo in einer Kulturredaktion? ach ja... Hans Darmstadt lässt sich doch gern noch zu den Jungen zählen... soll ich dem meinen neuen Text schicken?... der Text ist doch gut, der ist einsam... eigentlich viel zu schade für eine Zeitung... der passte so richtig in ein Buch hinein... in "Lyrik und Prosa" von Wolfgang Fischer... ja, so wäre es gerechtfertigt... drei Stunden habe ich an den Text gegeben, und wie oft habe ich ihn noch überarbeitet... eine rundherum gelungene Arbeit ist draus geworden... und wenn es hoch kommt, zahlen die 40 Mark dafür... es ist schon schaurig... aber gut, ich will Geld nicht überbewerten... Hans Darmstadt wird dankbar sein... wenn ich mir nur diesen Kulturteil ansehe: Theater, Musik, Ausstellungen... wollen die Leute so etwas überhaupt noch lesen?... die wollen doch aufgerüttelt werden... die wollen Gesprächsstoff haben... die wollen neue junge Autoren kennenlernen... mein Text wird wie eine Bombe ausklinken... mein Text wird Schwung auf diese tranigen Seiten bringen... merken die Zeitungsmacher denn nicht, dass hier etwas geschehen muss?... gewiss machen die sich auch ihre Gedanken... und der Hans Darmstadt, das ist doch noch ein Junger... gewiss warten die nur darauf, dass endlich die Jungen mit ihren Texten sich anbieten.

Wolfgang Fischer hat sich entschieden, seine Finger wandern über die Tasten, seine Zunge zuckt, als die Umschlaggummierung zu nahe kommt. Bäähh! Eine Heinemann noch drauf. Wolfgang Fischer lächelt. Er ist mit sich zufrieden. Hans Darmstadt, Kulturredaktion, schreibt er noch drauf.

Wolfgang Fischer rundet einen Nachmittag ab. Er macht auf Gesundheit, zu Fuß zum Kasten an der Ecke. Er hat die gelbe Klappe in der Hand, wenn das nicht der Durchbruch ist, scherzt er mit sich, die werden stolz sein, dass ich ihnen Erstlingssachen zum Drucken überlasse. Der Brief rutscht rein. Am Montag müssten die ihn haben, überlegt er auf den wenigen Schritten zurück zum Schreibtisch. Spätestens am Mittwoch werden die den Text dann drucken, Beleg Freitag. Wolfgang Fischer lächelt.

Montag, Vormittag. Hans Darmstadt hat sich für diese Woche Urlaub genommen. Scheiß Stress, hat er gesagt. Alles schön und gut, aber diese 1000 Schreibtischsachen, jedermann schickt Gedichte, Texte, Kurzgeschichtchen; alle glauben Sensationelles verfasst zu haben, und nur weniges davon ist brauchbar. Gedichte liest ja doch kein Mensch, sagen seine Kollegen. Als Umbruchshilfen kommen die mir manchmal recht gelegen, hat sich der Kulturchef einmal geäußert. Es ist kurz nach 10 an diesem Montag. “Guten Morgen... guten Morgen... schönes Wochenende gehabt? ...” Im Ressort kommt man der Sollstärke näher. Der Schreibtisch von Hans Darmstadt bleibt leblos. Zwei Zeitschriften, drei Briefe wandern im Laufe des Tages auf die Ablage. Wenn Hans Darmstadt dann in einer Woche etwa zur Schere greift, und routinemäßig die Kuverts aufschlitzt, wird auf einem Begleitschreiben oben links stehen: Wolfgang Fischer, Schriftsteller...